02. April 2020

EuGH: Darlehensverträge doch noch widerrufbar

Wird ein Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht informiert, so kann er noch Jahre später seine Vertragserklärung widerrufen. Der geschlossene Darlehensvertrag ist dann rückabzuwickeln. In den vergangenen Jahren haben Verbraucher diese Möglichkeit genutzt, um sich von unliebsam gewordenen Darlehensverträgen zu lösen.

Welchen Vorteil bietet der Widerruf?

Wird ein Darlehensvertrag widerrufen, so ist dieser rückabzuwickeln. Das heißt, dass die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugeben sind. Bei einem Darlehensvertrag bietet dies den Vorteil, dass der Darlehensvertrag vorzeitig beendet werden kann, ohne dass eine Vorfälligkeitsentschädigung gezahlt werden muss.

Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt man den Darlehensvertrag abgeschlossen hat, muss zudem nicht die volle Restschuld zurückgezahlt werden, da der Verbraucher auf sein eigenes, der Bank zur Verfügung gestelltes Kapital (die gezahlten Raten/Sondertilgungen) Nutzungsersatz, also Zinsen, verlangen kann. Damit steht der Verbraucher günstiger, als wenn er einfach nur das Darlehen zurückzahlen müsste.

Bei Immobiliardarlehensverträgen, also bei grundpfandrechtlich gesicherten Verträgen (Regelfall bei jeder Immobilienfinanzierung), besteht zudem für den Verbraucher die Möglichkeit nachzuweisen, dass der Wert seines Gebrauchsvorteils niedriger war als der Vertragszins. In diesem Fall muss er nur den niedrigeren Betrag zahlen. Zur Ermittlung des Gebrauchsvorteils kann auf den marktüblichen Zins abgestellt werden. Dieser lässt sich in der Regel unproblematisch anhand der Zinsstatistiken der Deutschen Bundesbank ermitteln. Anders ausgedrückt: Es besteht für den Verbraucher bei einem Immobiliardarlehensvertrag also die Möglichkeit, eine Teilerstattung bereits gezahlter Zinsen zu erreichen.

Durch den Widerruf eines Darlehensvertrages kann auch die Abnahme eines evtl. vorschnell abgeschlossenen Forward-Darlehens verhindert werden. Wird der Forward-Darlehensvertrag widerrufen, so muss die Darlehensvaluta nicht mehr abgenommen werden, ohne dass eine Nichtabnahmeentschädigung gezahlt werden müsste.

In den vergangenen Jahren haben viele Verbraucher solche Forward-Darlehensverträge abgeschlossen, um sich im Voraus einen günstigen Zinssatz zu sichern. Wie sich nun herausstellte, völlig unnötig. Tatsächlich ist in den meisten Fällen eine Um- oder Folgefinanzierung auch heute noch günstiger als ein vor mehreren Jahren eingegangenes Forward-Darlehen.

Worüber hat der EuGH entschieden?

Seit dem 11.06.2010 findet sich in nahezu jedem Verbraucherdarlehensvertrag folgende Formulierung:

„Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“

Der Bundesgerichtshof hatte bereits über die verwendete Formulierung entschieden und festgestellt, dass die Wendung in einem Verbraucherdarlehensvertrag, die Widerrufsfrist beginne „nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat“, für sich klar und verständlich über den Beginn der Widerrufsfrist informiert (BGH-Urt. v. 22.11.2016 - Az.: XI ZR 434/15).

Der EuGH hat nun die Rechtsauffassung des BGH abgelehnt. Mit Urteil vom 26.03.2020 – Az.: C 66/19 - hat der EuGH entschieden, dass diese Formulierung nicht geeignet ist, den Verbraucher hinreichend über die Voraussetzungen für den Fristbeginn zu informieren. Mit dem Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB kann der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat (vgl. EuGH-Urt. v. 26.03.2020 - C 66/19 - Rn. 44).

Damit hat der EuGH der verbraucherunfreundlichen Rechtsprechung des BGH eine Absage erteilt und klargestellt, dass, angesichts der Bedeutung des Widerrufsrechts für den Verbraucherschutz, die Informationen über dieses Recht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung sind. Um von diesen Informationen vollumfänglich profitieren zu können, muss der Verbraucher im Vorhinein die Bedingungen, Fristen und Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts kennen (vgl. EuGH-Urt. v. 26.03.2020 – Az.: C 66/19 - Rn. 37).

Was bedeutet die Rechtsprechung des EuGH für den Verbraucher?

Für den Verbraucher bedeutet dies, dass laut EuGH durch die Verwendung der weiter oben zitierten Formulierung der Darlehensnehmer nicht hinreichend über die Voraussetzungen für den Fristbeginn informiert worden ist. Damit hat die Frist für den Widerruf nie zu laufen begonnen und der Darlehensvertrag kann auch heute noch (vorbehaltlich einer Prüfung im Einzelfall) widerrufen werden.

Entgegen der ursprünglichen Feststellung des BGH ist somit auch heute noch eine Lösung vom Darlehensvertrag ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung oder Nichtabnahmeentschädigung möglich.

Sollten Sie die oben zitierte Formulierung in Ihrem Darlehensvertrag finden (schauen Sie im Abschnitt „Widerrufsinformation“ nach), beraten wir Sie gerne, ob auch in Ihrem Fall ein Widerruf möglich ist. In solchen Widerrufsfällen werden die Kosten einer anwaltlichen Beratung oder Vertretung in der Regel von den Rechtsschutzversicherungen ersetzt. Nehmen Sie hierzu einfach das kostenlose Erstgespräch in unserer Kanzlei in Anspruch.

Alexander Münch
Alexander Münch

Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.

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