26. April 2023

Lebensversicherung: BGH stärkt Widerrufsrecht der Verbraucher

Am 15. März 2023 fällte der Bundesgerichtshof ein Urteil (Az.: IV ZR 40/21), das für Versicherungsnehmer von großer Bedeutung ist. Dabei ging es um die Widerrufsbelehrung bei Lebensversicherungen. Dem BGH zufolge handelt es sich nicht nur um einen geringfügigen Belehrungsfehler, wenn in der Widerspruchsbelehrung nicht auf die erforderliche Form des Widerspruchs hingewiesen wird. Somit kann der Lebensversicherungsvertrag rückabgewickelt werden.

Kläger: Widerrufsbelehrung nicht angemessen erfolgt

Der Kläger hatte gegen seinen Versicherer Ansprüche aus einer fondsgebundenen Lebensversicherung geltend gemacht. Das Verfahren erfolgte in Form einer Stufenklage. Dabei können grob vereinfacht erst weitere Informationen von der Gegenseite eingeholt werden, ohne dass die Ansprüche des Versicherungsnehmers verjähren.

Der Kläger hatte die Lebensversicherung am 1. April 2002 nach dem sog. Policenmodell abgeschlossen. Bei diesem Modell erhielten die Kunden die Vertragsbedingungen erst, nachdem sie den Vertrag bereits unterschrieben hatten. Dieses Vorgehen verstößt allerdings gegen geltendes EU-Recht. Es liegen bereits mehrere Urteile des BGH vor, die besagen, dass eine nach diesem Modell abgeschlossene Lebensversicherung widerrufen werden kann. Voraussetzung ist, dass der Versicherungsnehmer nachweisen kann, dass die Widerrufsbelehrung nicht angemessen erfolgt ist. Die Widerspruchsbelehrung im vorliegenden Fall lautete:

„Dem Abschluß dieses Vertrags können Sie innerhalb von 14 Tagen ab Zugang dieser Unterlagen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“

Der Versicherungsnehmer hatte über mehrere Jahre seine Forderungen aus dem Versicherungsvertrag abgetreten, um damit einen Kredit abzusichern. Am 22. Februar 2017 legte er dann schriftlich Widerspruch ein. Im Zuge der Stufenklage verlangte er Auskunft vom Versicherungsunternehmen, welcher Betrag als Sparbeitrag oder als Überschussbeteiligung in Fondsanteile investiert wurde. Daran sollte sich auch die Summe bemessen, die ihm ausgezahlt würde.

Klage scheitert wegen „nur geringfügigem Belehrungsfehler“ in den Vorinstanzen

Die beiden Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Das erstinstanzliche Landgericht räumte zwar ein, dass die Widerrufsbelehrung nicht zu 100 % den Anforderungen des Versicherungsvertragsgesetzes (§ 5a VVG a.F.) entspräche, verwies aber auf die neuere Rechtsprechung des EuGH. Danach ist eine Widerrufsbelehrung auch dann wirksam, wenn der Versicherungsnehmer, trotz fehlerhafter Informationen, noch in der Lage ist, von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen – und zwar unter denselben Bedingungen wie bei einer angemessenen Widerrufsbelehrung. Ist das der Fall, liegt lediglich ein geringfügiger Belehrungsfehler vor.

Die Vorinstanz stufte dies als einen solchen geringfügigen Belehrungsfehler ein. Denn aus dem Hinweis, dass die fristgemäße Absendung des Widerspruchs genüge, werde deutlich, dass die Erklärung in einer versendungsfähigen Form, also textlich oder schriftlich, und nicht nur mündlich abzugeben sei.

BGH hebt Urteil der Vorinstanz auf: ungenügende Widerrufsbelehrung

Das sah der Bundesgerichtshof anders. Nach Auffassung des 4. Senats enthalte die Widerspruchsbelehrung „keinen Hinweis auf die […] erforderliche, aber auch ausreichende Textform des Widerspruchs.“ Dieses Formerfordernis könne der Kläger nicht aus der Formulierung entnehmen. Ebenso wenig, „dass die Textform abbedungen und dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eines Widerspruchs auch in mündlicher Form eingeräumt werden sollte.“

Dem Kläger sei durch den fehlenden Hinweis auf die erforderliche Textform des Widerspruchs die Möglichkeit genommen worden, sein Widerrufsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei angemessener Belehrung auszuüben:

„Enthält die Widerspruchsbelehrung - wie hier - keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche, aber auch ausreichende Textform des Widerspruchs, bleibt der Versicherungsnehmer im Unklaren darüber, in welcher Form er die Widerspruchserklärung abzugeben hat […].“

Das stelle eine deutliche Erschwernis der Ausübung des Widerspruchsrechts im Vergleich zu einem ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer dar. Ein Versicherungsnehmer sei immer auch über die zur Wirksamkeit des Widerspruchs erforderliche Form zu belehren, so die Richter. Aus der vorliegenden Widerspruchsbelehrung gehe jedoch nicht hervor, dass ein Widerspruch in Textform erforderlich, aber auch ausreichend sei. Vielmehr erwecke der erste Satz der Belehrung den Eindruck, dass der Widerspruch keiner besonderen Form bedürfe.

Das Urteil der Vorinstanz hob der BGH auf und verwies den Fall zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurück. Nach Aussage des Versicherers habe der Kläger 2015 eine ordnungsgemäße Nachbelehrung erhalten, habe aber dennoch zunächst am Vertrag festgehalten. In der neuen Verhandlung soll nun geklärt werden, ob die Nachbelehrung den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung genügt hat.

Zuvor anderslautendes BGH-Urteil zu Widerrufsbelehrung bei Lebensversicherung

In einem ähnlichen Fall hatte der BGH zuvor zu Ungunsten der klagenden Versicherungsnehmerin geurteilt (Urteil vom 15. Februar 2023, Az.: IV ZR 353/21). In dem Fall hatte der Lebensversicherer zwar ausreichend über die erforderliche Textform aufgeklärt, aber versehentlich die falsche Adresse der zuständigen Versicherungsaufsicht angegeben. Dies stufte der BGH als geringfügigen Belehrungsfehler ein.

Die zweite BGH-Entscheidung ist für Versicherungsnehmer allerdings wesentlich relevanter. Laut Medienberichten sollen rund 35 Prozent der Versicherungsverträge von dem hier vorliegenden Belehrungsfehler betroffen sein. Wenn auch Sie einen solchen Versicherungsvertrag abgeschlossen haben, helfen wir Ihnen in unserer Kanzlei gerne dabei, den Vertrag zu widerrufen und Ihre Ansprüche gegenüber dem Versicherer durchzusetzen. Im Zuge eines kostenlosen Erstgesprächs prüfen wir Ihre Police und beraten Sie unverbindlich zu Ihrem Fall.

Guido Lenné
Guido Lenné

Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.
Rechtsanwalt Lenné ist auch Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht.

Wir helfen Ihnen gerne! Kontaktieren Sie uns. Oder vereinbaren Sie hier online einen Termin für eine telefonische kostenfreie Erstberatung.

5/5 Sterne (2 Stimmen)

Zurück

Navigation öffnen Schließen E-Mail Telefon Suche Online-Terminvereinbarung Mehr lesen