28. Mai 2024

Verstoßen deutsche Riester- und Basis-Renten gegen EU-Vorgaben?

Unter Umständen könnte deutschen Lebensversicherern die Rückabwicklung von Millionen von Verträgen drohen. Denn es besteht die Möglichkeit, dass die Produkte nicht den Vorgaben der europäischen Versicherungsaufsicht (EIOPA) zum Kundennutzen der Verträge entsprechen.

Konkret geht es dabei um die Einhaltung von Qualitätsstandards der sog. „Product Oversight and Governance“. Damit sind Prozesse und Strukturen gemeint, die Versicherer und Finanzinstitute implementieren müssen, um die Entwicklung, Überwachung und Verwaltung von Finanzprodukten zu steuern. So schreibt die europäische Versicherungsaufsicht u. a. vor, dass Lebensversicherer schon bei der Einführung neuer Produkte den Kundennutzen berücksichtigen müssen. Die Rede ist vom „Value for money“, also dem Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Studie wirft BaFin vor, europäische Regelungen zu lange ignoriert zu haben

Laut einer Studie zu Riester- und Basis-Renten, die von der Bürgerbewegung Finanzwende Anfang des Jahres vorgestellt wurde, weisen die Produkte der deutschen Lebensversicherer jedoch keinen ausreichenden Kundennutzen auf. Denn dieser wird unter anderem daran gemessen, welche Renditen die Verträge langfristig erzielen. Und die Rendite nach Kosten muss oberhalb der begründeten Inflationserwartung liegen.

Der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wird vorgeworfen, diese europäische Regelung lange Zeit ignoriert zu haben. Denn die Versicherer in der EU müssen sich seit ca. fünf Jahren schon an dem „Value for money“ orientieren. Doch erst letztes Jahr habe die BaFin mit einem Merkblatt diese Wohlverhaltensregeln auch in Deutschland teilweise umgesetzt. Dabei hat sie nicht genau vorgegeben, wie hoch die Rendite der Produkte sein muss. Als Orientierungswert für den realen Anlageerfolg wurde lediglich das „mittelfristige Inflationsziel der Europäischen Zentralbank“ ausgewiesen. Das entspricht pro Jahr rund zwei Prozent Rendite nach Kosten.

Deutsche Lebensversicherungen ohne ausreichenden Kundennutzen?

Die Studie von Finanzwende kam jedoch zu dem Schluss, dass die aktuellen Produkte der deutschen Lebensversicherer keinen hinreichenden Kundennutzen erzielen würden, weil die Rendite bei fast allen Verträgen niedriger als vorgegeben ausfällt. Folglich hätten die Produkte gar nicht eingeführt werden dürfen. So heißt es in der EU-Verordnung konkret, dass Lebensversicherer keine Versicherungsprodukte auf den Markt bringen dürfen, wenn die Produktprüfung ergeben sollte, dass diese den ermittelten Bedürfnissen, Zielen und Merkmalen des Zielmarktes nicht entsprechen.

Sollte sich herausstellen, dass die deutschen Versicherer tatsächlich gegen diese EU-Vorgaben verstoßen haben, könnte es – ähnlich wie bei den Versicherungen nach dem Policenmodell – zu massenhaften Rückabwicklungen der Verträge kommen. Damals waren der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Bundesgerichtshof (BGH) zu dem Schluss gekommen, dass Lebensversicherungen, die zwischen 1994 und 2007 nach dem Policenmodell abgeschlossen worden waren, rückabgewickelt werden können, wenn der Versicherungsnehmer nicht angemessen über sein Widerrufsrecht belehrt wurde.

Kritik an Studie: Langlebigkeitsrisiko und Förderungen nicht berücksichtigt

Die Studie des Bürgervereins Finanzwende ist jedoch umstritten. So wurde darin beispielsweise angeführt, dass Versicherte ein sehr hohes Alter erreichen müssten, damit sich die Rürup- und Riester-Renten für sie lohnten. Denn bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 85 Jahren sei eine Rendite von zwei Prozent nicht zu erreichen.

Bei diesen Verträgen wird die Rente bis zum Lebensende gezahlt – unabhängig davon, wie alt der Versicherungsnehmer wird. Stirbt dieser jung, stellt das einen Nachteil dar. Erreicht er aber ein hohes Alter, wirkt sich das wiederum vorteilhaft aus, denn dann sind die Renditen höher, weil die Rente länger gezahlt wird. Da die Bevölkerung immer älter wird, ist auch die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Versicherungsnehmer älter als 85 Jahre werden. Das heißt, dass der Kundennutzen bei einer staatlich geförderten, privaten Altersvorsorge nicht nur in Renditepotenzial gemessen werden darf. Eine lebenslange Altersrente gewährleistet schließlich, dass der Lebensstandard auch im hohen Alter gesichert bleibt. Im Gegensatz zur Studie des Bürgervereins Finanzwende wertet die BaFin die Absicherung des Langlebigkeitsrisikos als Kundennutzen.

Des Weiteren wird an der Studie von Finanzwende kritisiert, sie habe bei den Renditeberechnungen die staatlichen Förderungen nicht berücksichtigt. Denn diese Zulagen bzw. Steuervorteile erhöhen die Rendite der Kunden. Diese wurden jedoch in der Studie nicht einberechnet. Ebenso wurde bei Fondspolicen mit den im Produktinformationsblatt (PIB) ausgewiesenen Effektivkosten gerechnet. Da die Versicherer gesetzlich verpflichtet sind, die maximal möglichen Kosten für den teuersten Fonds auszuweisen, sind die tatsächlichen Kosten jedoch in der Regel geringer.

BaFin selbst stellt Zulassung mancher Produkte infrage

Doch die BaFin selbst hat nach einem Marktvergleich infrage gestellt, ob alle getesteten Produkte hätten zugelassen werden dürfen. Grundsätzlich habe der Marktvergleich gezeigt, dass die Kosten der Verträge stark variieren. Bei einigen oft verkauften Verträgen lagen diese bei vier Prozent und höher. Die durchschnittlichen Effektivkosten seien bei den längeren Laufzeiten vertretbar. Doch die höher angesetzten Effektivkosten würden laut BaFin Zweifel aufwerfen, ob die Produktfreigabeverfahren den Interessen, Bedürfnissen und Merkmalen des Marktes bzw. den Wohlverhaltensregeln tatsächlich genügen würden.

Es wäre also möglich, dass diese Verträge tatsächlich gegen EU-Vorgaben verstoßen. Dann wäre eine Rückabwicklung möglich. Der Vorteil einer Rückabwicklung besteht darin, dass die Kunden ihre eingezahlten Beiträge verzinst zurückerhalten, was bei einer vorzeitigen Kündigung der Lebensversicherung nicht der Fall ist.

In der Anwaltskanzlei Lenné haben wir jahrelange Erfahrung mit der Rückabwicklung von Lebensversicherungen. Insbesondere bei älteren Verträgen kommt es oft vor, dass keine angemessene Widerrufsbelehrung erfolgt ist, sodass die Widerrufsfrist nie zu laufen begonnen hat. In solchen Fällen ist eine Rückabwicklung des Vertrags auch nach Jahren noch möglich. Wenn Sie wissen möchten, ob das auch auf Ihren Vertrag zutrifft, beraten wir Sie gerne im Rahmen eines kostenlosen Erstgesprächs.

Guido Lenné
Guido Lenné

Rechtsanwalt aus der Anwaltskanzlei Lenné.
Rechtsanwalt Lenné ist auch Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht.

Wir helfen Ihnen gerne! Kontaktieren Sie uns. Oder vereinbaren Sie hier online einen Termin für eine telefonische kostenfreie Erstberatung.

5/5 Sterne (2 Stimmen)

Zurück

Navigation öffnen Schließen E-Mail Telefon Suche Online-Terminvereinbarung Mehr lesen